Schwarzes Gold und Gelber Stern
Versuch einer Filmbeschreibung

Buch u. Regie: Jérôme Segal
Regie Assistenz: Zuzanna Solakiewicz
Bild: Zvika Portnoy (Sony PMW-EX1 XDCam HD)
Originalton: Zuzanna Solakiewicz
Schnitt: Zdenko Pintaric
Dolmetscherin (Ukr.-Dt.) : Ivanna Rosdy



1-Der Schrank

[Man sieht orientalische landschaftliche Szenen, man versteht allmählich, dass es Details aus Porzellan sind, von einem Schrank.]
Offstimme: Dieser Schrank steht bei meinen Eltern, in der Nähe von Paris. Es ist das einzige Stück, das von dem Schloss der Familie Segal übrig geblieben ist. Meine Großtante hatte diesen Schrank in ihrer Wohnung in London, in der sie seit den 1930er Jahren wohnte. Da sie keine Nachkommen hatte, haben meine Eltern den Schrank geerbt. Ich kann mich erinnern, sie waren nicht sehr glücklich darüber, den Transport organisieren zu müssen. Als Jugendlicher war ich ein wenig schockiert, dass sie die Innenteile ausbauten, um den Fernseher darin unterbringen zu können. Da sie den Putz ihres Hauses erneuern wollten, überlegten sie, den Schrank zu verkaufen, obwohl es laut Familiengeschichte davon nur zwei Exemplare auf der Welt geben soll (das Andere soll sich im polnischen Nationalmuseum, in Warschau befinden).   



[Man sieht den Fernseher meiner Eltern. Im Fernseher sieht man das Schloß]


2- Das Schloß Schwadorf

[Man sieht das Schloß, heute]

© Österreichisches Staatsarchiv

Der Schrank kommt aus dem Schloß Schwadorf, welches mein Urgroßvater 1926 erworben hat. Schwadorf liegt ca. 25 km von Wien entfernt, in der Nähe des Flughafens. Dieses Datum, also das Jahr 1926 - und eigentlich die ganze Familiengeschichte dieser Zeit - habe ich erst vor ein paar Jahren entdeckt, als ich nach Wien gezogen bin. Ich wusste ja, dass die Familie Segal bis 1938 in Wien lebte, aber mein Großvater hatte nie mit seinen Kindern über diese Zeit gesprochen, geschweige denn mit seinen Enkelkindern. Als ich an einem langen Abend Spuren über meine Familie im Internet suchte, fand ich zuerst eine Liste mit herrenlosen Konten, neben einem Stand der Name meines Urgroßvaters.  Um Geld zu bekommen war es schon zu spät, aber es brachte mich dazu, in das Staatsarchiv zu gehen. 

 [Man sieht mich vor dem Gebäude des Staatsarchivs]


Das Schloss ist nicht mehr im Besitz meiner Familie. 1938 wurde es arisiert. Mein Urgroßvater, damals 60, wurde im April 1938 von der Gestapo verhaftet, als seine beiden ältesten Kindern in England waren. Er hat sich vermutlich freigekauft und ist mit seiner Frau und meinem Großvater nach Frankreich geflohen. Mein Großvater, damals 27, war von nun an das Oberhaupt der Familie. Er hat seine Eltern versteckt und ist in die Fremdenlegion eingetreten. So ist er Franzose geworden, und deshalb bin auch ich Franzose ... 

Juden mussten damals, in Wien, ihr ganzes Hab und Gut deklarieren. Der nazistische bürokratische Apparat funktionierte so gut, dass es heute möglich ist, das "Verzeichnis über das Vermögen von Juden" wiederzufinden.

[Ich blättere durch das Verzeichnis von meinem Großvater]

Damit lässt sich die gesamte Geschichte des Schlosses rekonstruieren. Leider hatte 1927 das größte Erdbeben des 20. Jahrhunderts sein Epizentrum in Schwadorf. Das Schloss wurde stark beschädigt. Trotzdem konnte es meine Familie bis 1938 nutzen, auch wenn sie offiziell in der Reisnerstr. 27 im 3. Bezirk in Wien gemeldet war. Rasch nach dem „Anschluss“ wurden im Schloss  Soldaten der Wehrmacht untergebracht. Ab 1945  wurde es unter der sowjetischen Besatzung schlecht verwaltet. Unabhängige Historiker haben bewiesen, dass es 1955, als es an meine Familie restituiert wurde, "extreme Ungerechtigkeiten" gab. Um das Schloß wieder zu bekommen, musste mein Großvater 500.000 Schilling zahlen. An eine Wiedergutmachung ist jedoch nicht zu denken. Jetzt kenne ich die Bedeutung von Vergangenheitsbewältigung ... und ihre Lücken. Es wurde in diesem Land so viel unter den Teppich gekehrt, dass man einerseits kaum darauf gehen kann, anderseits aber finde ich fast jeden Tag Inspiration, um über dieses Land zu schreiben. Mein Großvater wollte nichts mehr mit Österreich zu tun haben, hat nie ein einziges Wort auf Deutsch mit seinen vier Kindern gesprochen ... und verkaufte sofort das Schloss an die Familie Auer-Welsbach weiter [sie stehen im Adressbuch meiner Großtante Erna].. [Ich blättere Fotos]


Jagdszene in Schwadorf (Arnold in der Mitte)

Mein Urgroßvater, Arnold Segal

Seine Tochter Erna, meine Großtante

Meine Urgroßmutter, Ida Segal
(geb. Strisower)

Eine Neffe von Arnold, mit seinen drei Kindern

Mein Großvater, Heinrich

Arnold mit seinem weißen Pferd

Mein Großvater Heinrich (rechts) mit seinem Bruder Stanislas

Meldungsbuch meines Großvaters
an der Hochschule fur Welthandel


3 - Die  Familie Segal in Drohobycz

In der Mitte, mein Großvater!Mein Großvater und mein Urgroßvater sind beide in Drohobycz geboren. Zu dieser Zeit lag diese Stadt in der k.u.k.-Provinz Galizien, die heute zu einem Teil in Polen und einem Teil in der Ukraine liegt. Früher war Drohobycz für mich nur eine Stadt, deren Name schwierig zu merken war. Alle Mitglieder meiner Familie waren Juden und am Ende des Ersten Weltkriegs, als die Kosaken kamen, mussten sie wegen der Pogrome fliehen. Da sie geschäftlich schon mit einem Bein in Wien standen, war es für sie naheliegend, dorthin zu ziehen.

Im Staatsarchiv habe ich eine große Entdeckung über das Geschäft meiner Familie gemacht. Sie waren im Erdölbereich tätig [beim Blättern im Verzeichnis aus dem Archiv sieht man, dass mein Urgroßvater Aktien in Erdölgesellschaften hatte]. Dieser Teil Galiziens wurde damals "Jewish Pennsylvania" genannt. 1909 war diese Region weltweit der drittgrößte Erdöllieferant. Niemand hatte bisher in meiner Familie von Erdöl gehört.
Als "den ersten europäischen Ölrausch" hat man diese Periode bezeichnet. Die Ölfelder lagen in Boryslaw und Schodnica; die Besitzer wohnten in Drohobycz, welches ca. 8 km von Boryslaw entfernt ist.

  
1880 besuchte Kaiser Franz Josef  die Ölfelder


4 - Die Familie Erdheim

Ich habe mich gefragt, ob es nach dem Ersten Weltkrieg viele jüdische Familien gab, die eine ähnliche Geschichte hatten. Ich habe mich vor allem gefragt, inwiefern diese Erdölgeschichte das Schicksal der galizischen jüdischen Familie beeinflusst hat. Meine Familie zum Beispiel hat, dank dem Erdöl, von einer gewissen Mobilität profitiert. Nach dem Zerfall der Monarchie, 1918, waren die Ölfelder in polnischen Händen. Mein Urgroßvater hat zuerst rumänisches Erdöl in Wien verkauft, dann hat er in künstliche Seide investiert [man sieht Branchenbücher, wo seine Name erwähnt ist]. Er wohnte in den noblen Bezirken von Wien und hatte sein Büro in der Naglergasse, fast am Graben [man sieht diese beiden Häuser, wie sie heute sind].
Um Antwort auf meine Frage zu finden, kam ich ziemlich schnell auf Claudia Erdheim. Sie hat 2006 das Buch Längst nicht mehr koscher veröffentlicht. Es beschreibt ihre Familiengeschichte, zwischen Wien und Drohobycz. Auch ihre Familie war mit Erdöl beschäftig. Claudia ist es gelungen, die Stimmung der damaligen Zeit wieder aufleben zu lassen.
[Gespräch mit Claudia Erdheim bei ihr, in dem Wintergarten, den ihre Vater original treu nachgebaut hat, wie es in Drohobycz war - man sieht auch viele alte Fotos.
Sie hat dem Kurator der Ausstellung "Galizisches Erdöl" mit ihren Kenntnissen und ihrem Privatarchiv geholfen.]




5 - Das galizische Erdöl im Technischen Museum

[Gespräch mit Andreas Vormaier. Er hat eine Kopie aus den Staatsarchiven wo, in 1810, das galizische Erdöl für das erste Mal erwähnt wurde. Man sieht das Model einer Ölraffinerie, eine alte Karte wo die Besitzer aller Felder notiert sind. A. Vormaier erzählt von einem merkwürdigen Museum, in Boryslaw, ich will hinfahren...]






6 - Drohobycz heute


Die Bilder von Drohobycz und Boryslaw hatten mich schon sehr fasziniert und ich wollte sehen, wie was aus den Orten geworden ist. [Man sieht zuerst verschiedene Marktszenen in Drohobycz, Szenen von dem Hauptplatz (Rynek), aber auch Szenen, die von den jüdischen Spuren erzählen, wie das Bruno-Schulz-Denkmal. Eine junge Frau aus Drohobycz, Ivanna Rosdy führt uns durch Drohobycz, wir besichtigen die wichtigsten Teilen der Stadt mit ihr. Sie zeigt uns zum Beispiel Plattenbau, die auf einem ehemaligen jüdischen Friedhof gebaut wurde]

Manche Häuser besitzen einen Wintergarten, wirklich so, wie ihn Claudias Vater in Wien nachgebaut hat (siehe Punkt 4 oben).

 

[Inmitten einer Plattenbausiedlung finden wir einen Grabstein eines Rabbi... nicht weit von der Synagoge, die heute fast nur noch eine Ruine ist



Wir sind dann bei dem Dekan der Universität von Drohobycz...

7 - Leonid Wolodymyrovytsch Timoschenko (Historiker - Dekan an der Universität in Drohobycz)

[Der Dekan behauptet, dass die Juden, erst dann nach Drohobycz kamen, als sie erfuhren, dass dass es dort Erdöl gab. Ich wiederspreche ihm: die Familie Backenroth, zum Beispiel, war seit dem 14. Jh in Schodnica (ganz in der Nähe). Der Zuschauer bekommt den Eindruck, dass ich eine Untersuchung mache. Wir fahren nach Boryslaw (10 km entfernt) und treffen dort Oleg Mykulych, Leiter des Erdölmuseums.]



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8 - "Das Erdöl war überall in der Stadt."

Oleg Mykulych präsentiert das Erdölmuseum von Boryslaw. Er präsentiert verschiedene Objekte und Modelle. Eine von diesen Modellen zeigt ein System, wie man einen Motor mit bis zu sechs Pumpen aktivieren kann.


Modell mit Mechanismus zur Aktivierung der Pumpen

Oleg führt uns nach draußen, wo alte Pumpen noch zu sehen sind. Manche sind nur als Erinnerung da, während andere immer noch funktionieren. Alte Pumpen sind manchmal mit Metallschildern gekennzeichnet, zum Beispiel, wie dieser hier, neben einem Spielplatz. In dieser Sequenz sehen wir sogar Rohöl.

Später fahren wir nach Schodnica, um das Original der Modells zu sehen. Wir sehen auch funktionierende Pumpen.

aus dem "making-of"!

Der Mechanismus, wie er heute noch funktioniert

Es findet anschließend ein Gespräch mit Pawlo Janiv statt, Leiter der Fachhochschule für Erdöl, in Drohobycz. Wir sehen auch ein kleines Museum dort.

Pawlo Janiv


9 - Der letze Jude von Drohobycz

Allmählich verstehe ich, welche Rolle das galizische Erdöl gespielt hat, insbesondere für Juden wie zum Beispiel die Familien Erdheim oder Segal. 

Manche sind am Ende des ersten Weltkriegs nach Wien geflohen, als die Kosaken Pogrome ausübten. So war es auch im Fall der Familie Segal, und auch bei einigen Brüdern der Erdheim Familie. Nach dem ersten Weltkrieg war es für viele Juden, anziehend wieder nach Drohocycz zurück zu kehren ... aber auch gefährlich, wie sie es ab 1939 am eigenen Leib erfuhren durften. 

Die Mehrheit der Juden ist jedoch in  Drohobycz geblieben. Unter ihnen finden wir auch Chaim/Imek Segal, der heute in Toronto lebt. Er hat 2012 ein reichlich illustriertes Buch veröffentlicht. Es heißt Chaim heißt Leben und berichtet über seine Zeit in Drohobycz und Boryslav. Heutzutage gibt es hier nur noch einen Juden aus der Vorkriegszeit, Alfred Schreyer, geboren 1922. [Ich unterhalte mich mit ihm und spaziere in seiner Umgebung.]


Alfred Schreyer (1922 geb.)


10- Bronica Wald (in der Nähe von Drohobycz)

[Alfred Schreyer erzählt, wie er die Kriegsjahre überlebte. Rund um Drohobycz gab es fünf Arbeitslager
•    ein Sägerwerke mit einer Tischlerei (wo Alfred Schreyer zuerst als Hilfskraft arbeitete)
•    eine Gärtnerei (wo viele jüdische Frauen arbeiteten)
•    Keramikwerkstätten
•    Städtische Werkstätte (hier war die Mutter von Alfred, Leontyna, inhaftiert)
•    und die Firma "Erdöl Karpathen" (wo Schreyer zu einem späteren Zeitpunkt tätig war)
Alfred Schreyer erklärt, wie wichtig das Erdöl war: "Hitler könnte doch ohne Benzin nicht kämpfen". Alle Lager wurden "aufgelöst", die Inhaftierte  entweder deportiert oder zu Massengräbern gebracht.
Die letzten "Brauchbaren" waren im Arbeitslager "Erdöl Karpathen" untergebracht. Schreyer wurde in das KZ Krakau-Plaszow deportiert.
Seine Mutter arbeitete nicht im Erdöl Arbeitslager und wurde 1943 im Bronica Wald mit vielen anderen Juden ermordet. Mehr als
5000 Juden wurden dort erschossen. Es gibt dort Massengräber, und einige persönliche Gedenktafeln, darunter eine für Leontyna Schreyer.]

Unter den Gedenktafeln bemerke ich einige Schriften auf Hebräisch. Es gibt bestimmt Überlebende oder Nachkommen, die in Israel leben. Ich entscheide mich, nach diesen Familien zu suchen. Dank Internet entdecke ich einen Verein jüdischer Familien aus Drohobycz und Boryslav. Ich werde mich in Israel mit Nachkommenden der Familien Katz, Backenroth und Bronicky unterhalten.



11- Myriam Katz und Lucien Bronicky in Israel

Die Familie Backenroth ist eigentlich die bekannteste jüdische Familie aus der Gegend, mit einer Geschichte, die sich über 750 Jahren erstreckt. Sie hat eine entscheidende Rolle in der Erdölförderung gespielt.
Wir treffen zuerst Lucien Bronicky, der heute immer noch im Energiebereich tätig ist. Er erzählt uns seine Geschichte sowie die Geschichte seines Vaters.
Frau Katz spricht dann das erste Mal ihres Lebens über die Kriegsjahre. Wie sie überlebt hat und warum sie doch einen deutschen Soldaten in guter Erinnerung hat.

Jacob und Myriam Katz zu Hause

Lucien Bronicki im Hauptquartier von Ormat, einer Firma, die von ihm gegründet wurde


12 - Andere Zeitzeugen in Israel

In Israel treffe ich auch 


Moshe Lubianeker (1930 geb.)

Leszek Szefer (1913 geb.)

Herr Igler (1924 geb.)

Sarah Preiss (geb. 1950)
Sarahs Vather, Hermann Sekler, ist links und rechts auf ihre Privatarchiv Fotos

13 - Jude und Kosmopolit? Drohobycz oder Boryslav als "anti-Heimat"

Diese vielen Gespräche bringen mich dazu, eine Hypothese zu formulieren, dass das "Jude sein" viel mit Kosmopolitismus zu tun hat. Familien aus Drohobycz oder Boryslav befinden sich überall in der Welt und zeigen meistens eine gewisse Weltoffenheit. Diese Gegend, auch "Jewish Pennsylvania" genannt, kann für sie keine "Heimat" sein. Sie ist mit einer Tragödie verbunden, sei es, weil viele Familien am Ende der Ersten Weltkrieg geflohen sind (für diejenige, die es sich leisten konnten), sei es, weil Drohobycz so stark mit der Shoah gebunden ist, und besonders mit den „Aktionen“ der SS-Einsatzgruppen.
Ein Artikel in einer amerikanischen jüdischen Tageszeitung, Forward, hat vor ein paar Jahren über die Synagoge von Drohobycz berichtet. Am Ende dieses Artikels, "Rescuing Drohobych - One Man’s Quest To Memorialize A Vital Jewish Center of Oil and Art" kann man feststellen, wie lenbendig die Erinnerung der Nachkommen über Drohobycz ist.

14 - Nun verstehe ich meine Familie besser und entdecke eine für mich passende Definition der Judaität


Dank dieser Forschungen über meine Familiengeschichte, entdecke ich einen Teil meiner Identität und meiner Familie in Wien: Perl/Pauline Segal, die Großmutter meines Großvaters, war bis jetzt unbekannt in meiner Familie.
Ich finde ihren Grabstein am Zentralfriedhof (Tor I, jüdisches Abteil, Gr. 53b). Diese Ruhestatt ist rätselhaft ... viele neue Fragen tauchen auf ...
[Es folgt eine kurze Überlegung über die Weitergabe von Geschichte und Identität, aber auch über die Rolle der Erziehung.]
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[Man sieht wieder Kinder, heute in Drohobycz, die zwischen den Ölpumpen spielen. Diese Kinder könnten Nachkommen jüdischer Familien sein ...
Das Fernsehgerät, in dem Schrank meiner Eltern, schaltet sich aus. Die Türen gehen zu, man sieht wieder den Schrank ...